Thứ Bảy, 23 tháng 9, 2023

Telc C1. Deutsche Wortschatz 12 Übungstest

 12. Übungstest

12.1. Leseverstehen, Teil 1

12.2. Leseverstehen, Teil 2

12.3. Leseverstehen, Teil 3

12.4. Sprachbausteine

12.5. Hörverstehen, Teil 1

12.6. Hörverstehen, Teil 2

12.7. Hörverstehen, Teil 3

12.1. Leseverstehen, Teil 1

 Über die Anfänge der Universität in Europa

 Universität wird definiert als eine Anstalt für wissenschaftliche Ausbildung und Forschung, die in mehrere Fakultäten gegliedert ist, und im weitesten Sinne - die Gesamtheit aller Wissenschaften umfasst. Der Ausdruck,,Universität“ geht auf das lateinische Wort universitas zurück. Dieser mittellateinische Begriff wird zu Beginn des 13. Jahrhunderts von Rechtsgelehrten für gewisse Gemeinschaften oder Zusammenschlüsse verwendet, in Anlehnung an die Gilden der Kaufleute. In der Folge werden mit diesem Terminus auch die ersten Vereinigungen von Lernenden und Lehrenden bezeichnet.

 

 

 Als die älteste Universität Europas gilt Bologna. Während ihre Gründung im 19. Jahrhundert von einer historischen Kommission auf das Jahr 1088 festgelegt wurde, geht man heute davon aus, dass es in Bologna eine Universität im eigentlichen Sinne mit den typischen korporativen Strukturen - erst etwa ab 1130 gab. Die zweitälteste europäische Universität ist die in Paris. 1150 als eine Körperschaft der Kathedrale Notre-Dame in Erscheinung getreten, wurde sie im Jahr 1200 von König Philippe Auguste und 15 Jahre später von Papst Innozenz III. anerkannt. Es folgten Oxford, Cambridge, Salamanca, Montpellier und Padua. Im 13. Jahrhundert umfasste die Landschaft der europäischen Universitäten lediglich Italien, Frankreich, England und Spanien.

Beachtenswert ist, dass sich die Universitäten in ihrer Frühzeit aus der Eigeninitiative der Beteiligten entwickelten. Dabei gab es unterschiedliche Modelle. Einem davon, dem der „Studentenuniversität", folgte zum Beispiel Bologna. Bei dieser Variante schlossen sich Studenten in eigenen Verbänden zusammen, nahmen Lehrer unter Vertrag und bezahlten sie selbst. Die Lehrer waren dort in einem eigenen Doktorenkollegium organisiert. Paris folgte einem anderen Modell, dem sogenannten Magistermodell. Dieses vereinte Lehrende und Studierende, wobei die Professoren eine führende Rolle spielten.

 

 

 Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts war die Zahl der Universitäten in Europa auf rund 30 gestiegen, meist entstanden in der Nachfolge von Dom- oder Klosterschulen. 1348 erfolgte in Prag die erste Universitätsgründung nördlich der Alpen. Die neueren Gründungen orientierten sich vielfach an dem Modell der ,,Stifteruniversität". Die Universität Prag wurde von dem Luxemburger Karl IV. gegründet. Herrscher anderer Dynastien folgten seinem Beispiel, etwa die Habsburger 1365 in Wien oder die Wittelsbacher 1386 in Heidelberg. In Erfurt, 1379, und Köln, 1388, ging die Gründung der Universität dagegen auf das Bemühen der Bürgerschaft um eine päpstliche Stiftung zurück.


 Als grundlegendes Wissen wurden an den Artistenfakultäten die Sieben Freien Künste gelehrt. Dieses Grundstudium bestand im ersten Teil aus dem sogenannten Trivium, dem Dreiweg, mit den sprachlich und logisch- argumentativ orientierten Fächern Grammatik, Dialektik und Rhetorik. Es folgte das Quadrivium, der Vierweg, mit Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik. Nach vier Jahren wurde dieser Abschnitt mit dem Bakkalaureat abgeschlossen. Mindestens die Hälfte dieser Zeit dauerte es dann noch einmal, bis der Magister erreicht wurde. Nach dem Magister konnten die Studenten an einer der drei höheren Fakultäten Medizin, Rechtswissenschaft oder Theologie belegen.

 

 

 Die Voraussetzung für die Aufnahme eines Studiums an der Artistenfakultät, die in der Neuzeit zur Philosophischen Fakultät wurde, waren grundlegende Kenntnisse in Latein. Frauen war der Zugang in der Regel untersagt. Einzig in Italien standen einzelne Universitäten im Mittelalter auch Frauen offen.

 12.2. Leseverstehen, Teil 2

 Fürsorgliche Eltern an den Universitäten



 a.

 Es gibt Berichte darüber, dass sich amerikanische Eltern zu Beginn des Semesters ein Zimmer in der Nähe der Hochschule suchen, damit sie jederzeit für ihr Kind erreichbar sind. Auch davon, dass sie ihre Kinder in die Vorlesungen begleiten, ist zu lesen. Kontrollanrufe und unzählige SMS an ihre studierenden Kinder seien für viele Eltern normal. Unter www.class120.com wird in den USA eine App angeboten, die Eltern die Überwachung ihrer Kinder über deren Handy ermöglicht. Sicherzustellen, dass ein Kind die Vorlesungen und Veranstaltungen besuche, sei der wichtigste Einzelbeitrag, den die Eltern zum Erfolg ihrer Sprösslinge an der Hochschule leisten könnten, heißt es dort. Zuerst erhalten die Studenten selbst eine Warnung, dann werden die Eltern per SMS oder E-Mail benachrichtigt, wenn die Tochter oder der Sohn nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort erscheint. Dazu wurden Unigelände vermessen und Raumstrukturen mit Kursplänen kombiniert. Tester berichten von großen Erfolgen.

 

 

 b.

Im Gegensatz zu den USA scheinen Eltern hierzulande noch weit entfernt von einem solch radikalen Drang nach Kontrolle. Dennoch, auch an deutschen Universitäten sind Eltern zunehmend präsent.

Studienberater berichten davon, dass angehende Studenten in Begleitung ihrer Eltern erscheinen. „Wir möchten gerne Jura studieren." Oder der Studienplatz ist gesichert, aber es gibt Bedenken: Die Mutter ist besorgt, dass ihre Tochter sich in der Großstadt nicht zurechtfinden könnte, der Vater muss erst noch die Mensa testen. Das können Sie sich nicht vorstellen? Sie gehören noch zu der Generation, der es peinlich gewesen wäre, wenn die Eltern sich auch nur in die Nähe der Universität oder der Kommilitonen gewagt hätten? Nun, diese Zeiten scheinen endgültig vorbei. An vielen deutschen Universitäten gibt es sogenannte ,,Elterntage", bei denen die Eltern an Vorlesungen teilnehmen können, das kulinarische Angebot kosten und sich ganz allgemein über die Studienbedingungen bestimmter Hochschulen informieren können. Die Universität Würzburg zum Beispiel organisiert diese Elterntage unter dem Titel „Mama & Papa ante portas". Während manche Universitäten die Eltern geradezu auffordern, sich einzubringen, in ihnen gar Co-Studienberater" sehen, gehen andere Universitäten eher auf Distanz.

 C.

 Das ist nachvollziehbar, denn der Schritt von involvierten zu überfürsorglichen Eltern scheint klein. Es droht die Gefahr, dass sich Eltern allzu stark in das Studium einmischen und ihre Kinder auch als Studenten noch davon abhalten, selbstständig zu werden. Dabei sollte das Studium viel eher die Gelegenheit bieten, einen eigenen Weg zu gehen. Denn Kinder wachsen heute vielfach in einem durchorganisierten Schutzraum auf, in dem sie kaum eigene Entscheidungen treffen dürfen. Spiele werden ausschließlich nach pädagogischen Standpunkten ausgewählt und vorgegeben, und die passenden Spielkameraden werden gleich mitgeliefert. Sie werden in programmierten Kursen gefördert, ihre Interessen von Kindesbeinen an in erwünschte Bahnen geleitet. Die Hausaufgaben werden überwacht, im Zweifelsfall gar von den Eltern selbst erledigt. Und das ist kontraproduktiv: Zu selten und zu spät lernen die Kinder das, was sie als mündige Studenten bräuchten, nämlich selbst tätig zu werden und Verantwortung für den eigenen Erfolg oder Misserfolg zu übernehmen.

 

 

 D.

Der Präsenz der Eltern an den Universitäten könnte man allerdings auch gute Seiten abgewinnen. Dass Eltern sich intensiv mit der Bildung ihrer Kinder auseinandersetzen, ist durchaus positiv zu sehen. Auch dass viele junge Menschen in ihren Eltern offenbar Vertraute sehen, die sie gern bei wichtigen Entscheidungen an ihrer Seite haben, ist grundsätzlich zu begrüßen. Zudem hat diese Entwicklung auch handfeste Gründe. Selbst wenn minderjährige Studentinnen und Studenten nur einen geringen Prozentsatz aller Studierenden ausmachen, so ist ihre Zahl in den letzten Jahren doch stetig angestiegen. Das ruft automatisch die Eltern auf den Plan. Denn Minderjährige sind nur beschränkt geschäftsfähig, und ohne die Einwilligung der Eltern haben sie keinen Zugang zur Universität. Ohne die Unterschrift ihrer Eltern können sich Minderjährige weder bewerben noch einschreiben. Sie können auch keinen Mietvertrag unterschreiben. Die Eltern müssen sich sogar damit einverstanden erklären, dass die Universität den Schriftverkehr direkt an ihr Kind zustellen darf. Grundsätzlich müssten Eltern jede studienbezogene Aktivität einzeln bewilligen. Diesem Umstand tragen viele Universitäten Rechnung, indem sie spezielle Informationen für die betroffenen Eltern ausgeben und von diesen eine Generaleinwilligung einholen

 E. 

 Damit ist ein erster Schritt getan. Durch eine solche Einwilligung erklären sich die Eltern bereit, ihre Tochter oder ihren Sohn bei der Aufnahme und im weiteren Verlauf des Studiums eigenverantwortlich agieren zu lassen. Ihr Ziel sollte es sein, die jungen Menschen so rasch wie möglich zur Eigenständigkeit zu bringen. Eltern sollten

ihre Hilfe nur dann anbieten, wenn ihre Kinder sie darum bitten, oder wenn sie den Eindruck haben, dass diese überfordert sind. Keinesfalls sollten Eltern versuchen, mit den Dozenten über ihre Kinder zu sprechen. Auch wenn für viele Eltern das Studium ihrer Kinder mit hohen Erwartungen verknüpft ist: Sie müssen lernen, loszulassen und die Eigeninitiative ihrer Kinder zu fördern.

 

 12.3. Leseverstehen, Teil 3

 

 

 Ob als Nahrungsmittel, Energiequellen oder zur Herstellung von Wirk- und Kunststoffen - die Meeres-Einzeller haben großes Potenzial. Doch der Durchbruch lässt immer noch auf sich warten.

Lange Zeit galten Pflanzen wie Mais oder Raps als Schlüssel zu einer nachhaltigen Herstellung von biobasierten Produkten und Bioenergie. Doch das Unbehagen über monotone Mais-Landschaften und darüber, dass wertvolle Ackerflächen dem Lebensmittelanbau vorenthalten werden, wächst. Einen Ausweg aus dem Dilemma „Tank oder Teller" könnten Mikroalgen bieten, denen nach Meinung von Fachleuten ein großes Potenzial innewohnt.

 Denn Mikroalgen, die in der Natur vor allem die oberen Schichten der Weltmeere bevölkern, betreiben Photosynthese: Sie nutzen Sonnenlicht und Kohlendioxid, um Biomasse zu erzeugen, und liefern dabei ein Produktspektrum, das es wahrlich in sich hat. Unter den Inhaltsstoffen der unscheinbaren Einzeller findet man neben Fetten und Eiweißstoffen weitere hochwertige Substanzen wie Vitamine, Mineralstoffe, Pigmente und Spurenelemente, einige bilden auch antivirale oder antibiotische Inhaltsstoffe. Da Mikroalgen im Vergleich zu Landpflanzen außerdem hohe Wachstumsraten und Produktivität

ausweisen - schließlich wachsen sie das ganze Jahr hindurch -, könnte ihre industrielle Nutzung bald richtig in Schwung kommen.

 

 

 Vielen gesundheitsbewussten Verbrauchern bekannt sind die Süßwasseralgen Chlorella vulgaris und Spirulina platensis, die wegen ihres breiten Spektrums an Proteinen, Vitaminen, Spurenelementen und Mineralien geschätzt werden. Auch einige andere Mikroalgen sind bereits etabliert. Haematococcus pluvialis beispielsweise ist ein Einzeller, der einen roten Farbstoff namens Astaxanthin synthetisiert.

Der Farbstoff wird für die Lachszucht in Aquakulturen verwendet, ist aber auch als Nahrungsergänzungsmittel zunehmend gefragt. Dunaliella salina wiederum erzeugt B-Carotin, das als Zusatzstoff von der

 Lebensmittelindustrie verwendet wird. Zuletzt gewann ein weiterer Farbstoff aus Mikroalgen Aufmerksamkeit: Ein blaues Eiweiß aus Spirulina-Algen ermöglichte es einem Süßwarenproduzenten, seine Gummibärchen erstmals auch in der Farbe Blau anzubieten.

Diese Beispiele aus der breiten Produktpalette, die mit Mikroalgenkulturen zugänglich ist, zeigen, welcher Schatz in den Einzellern schlummert. Deshalb interessiert sich eine Reihe von Industriezweigen für Mikroalgen, angefangen von der Lebensmittel- und Futtermittelindustrie über Hersteller von Kosmetika bis hin zu pharmazeutischen Unternehmen. In einem Statuspapier, das die „Gesellschaft für

 

 

 Chemische Technik und Biotechnologie" (Dechema) kürzlich vorgelegt hat, beschreiben Experten den erreichten Stand sowie die Potenziale und Herausforderungen auf dem Gebiet der Mikroalgen- Biotechnologie.

Viele Verfahren sind noch unwirtschaftlich. Astaxanthin beispielsweise kann die chemische Industrie auch konventionell herstellen. Das synthetische Pendant kostet gerade einmal ein Drittel des natürlichen Farbstoffs. Deshalb gibt es vielfältige Forschungsansätze, die Wirtschaftlichkeit zu verbessern.

Mikroalgenkulturen lassen sich auf zwei Arten betreiben: in geschlossenen Reaktoren,

 das heißt in speziell dafür konstruierten Behältern, oder aber in offenen Becken, wobei Letztere im europäischen Klima wenig vorteilhaft sind. Als Standorte für solche Anlagen kommen vor allem Gebiete in Betracht, wo keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion auftritt. Geeignet sind beispielsweise Trockengebiete, Industriebrachen oder Brackwasserzonen. Damit die Mikroalgen die gewünschten Produkte herstellen, brauchen sie lediglich Wasser, Nährstoffe, Kohlendioxid und Licht.

Genügend Sonnenlicht erhalten die sich entwickelnden Algen allerdings nur dann, wenn die Reaktoren eine große Oberfläche und wenig Tiefe aufweisen. Am optimalen Anlagendesign tüfteln daher viele Forscher,

 

 

 darunter auch die Gruppe von Carola Griehl an der Hochschule Anhalt in Köthen, die auf sogenannte Tannenbaum-Reaktoren setzt. Diese haben die Form eines stumpfen Kegels, was dazu führt, dass die Algen bei geringem Raumbedarf optimal beleuchtet werden.

Am Fraunhofer-Zentrum für Chemisch- Biotechnologische Prozesse in Leuna setzen die Wissenschaftler dagegen auf Plattenreaktoren, in denen sie besonders hoch konzentrierte Algenkulturen züchten. Zwischen senkrecht stehenden Glasplatten schwimmen die Algen im Wasser. Durch einen geschlitzten Schlauch am Boden strömt Luft, die das nötige Kohlendioxid liefert und gleichzeitig für eine

 Durchmischung der Algen sorgt. Eine Pumpe wird nicht benötigt.

An der Universität Köln wiederum erprobt man derzeit einen Reaktor mit Schichtaufbau. Algen und ein flüssiges Nährmedium sind durch eine poröse Oberfläche getrennt, auf der die Algen als Biofilm wachsen, wie Björn Podala und seine Kollegen in den Trends in Biotechnology berichten. Der Vorteil: Der Reaktor benötigt deutlich weniger Wasser.

Einen weiteren Ansatz verfolgen Wissenschaftler um Rainer Buchholz von der Universität Erlangen-Nürnberg. Weil die Mikroalgen nur phototroph wachsen, also Licht als Energiequelle nutzen, die

 

 

 Lichtintensität jedoch in den Algenkulturen nach innen hin rasch abnimmt, bringen die Forscher eine Art innere Beleuchtung an. Sie setzen der Algenkultur winzige drahtlose Lichtquellen zu. Dies eröffne neue Designmöglichkeiten für Reaktoren, schreiben die Forscher um Buchholz im Journal of Applied Phycology. Zu viel Sonnenlicht ist andererseits nicht gut für die Mikroalgen, denn wenn es zu heiß wird, geraten sie in Gefahr abzusterben.

Forscher um Michael Hippler von der Universität Münster haben kürzlich das Sonnenschutz-Protein einer Mikroalge entdeckt (Nature Communications). Der Eiweißstoff namens Calredoxin ist der Hauptbestandteil eines Systems, das vor

 Schäden durch zu hohe Lichtintensität schützt. Die Entdeckung könnte in Zukunft helfen, die Ernteerträge von Algenkulturen zu optimieren. Denn auf dieser Basis lassen sich vielleicht Mikroalgen mit eingebautem Sonnenschutz und besonders hoher Syntheseleistung züchten.

Mehr als 100 000 verschiedene Mikroalgen gibt es, davon werden heute gerade einmal 15 Arten wirtschaftlich genutzt. In Screening- Projekten sucht man nach weiteren leistungsfähigen Stämmen und versucht, diese durch Züchtung und molekularbiologische Verfahren an die Bedingungen im Bioreaktor anzupassen und das Produktspektrum zu lenken. Vor einigen Jahren haben amerikanische Forscher

 

 

 gezeigt, dass rekombinante Proteine wie etwa Interferon oder Proinsulin auch aus gentechnisch veränderten Algen gewonnen werden können (Plant Biotechnology Journal). Das lässt erahnen, welches Potenzial Mikroalgen innewohnt. In die gleiche Richtung gehen auch Arbeiten von Franziska Hempel und Uwe Maier von der Philipps-Universität Marburg, die zeigen konnten, dass modifizierte Mikroalgen so verschiedene Produkte wie den Biokunststoff PHB oder humane Antikörper (Plos One) herstellen können.

Mikroalgen sind kraftvolle Zellfabriken.

Ebenso wie die typischen Helfer der

Biotechnologie - Hefen, Bakterien oder

Säugetierzellen - können sie in Kulturen eine

 Vielzahl von interessanten und wertvollen Produkten herstellen, benötigen dabei aber kein kostspieliges Futter, sondern wachsen nur mit Licht und Luft beziehungsweise Kohlendioxid heran. Neben hochwertigen Inhaltsstoffen wie pharmazeutischen Wirkstoffen zielen die Kulturen auf so verschiedene Produkte wie Feinchemikalien, Monomere für Biokunststoffe, mehrfach ungesättigte Fettsäuren oder Öle, die sich zur Biodieselherstellung verwenden lassen.

Versuche beispielsweise an der Technischen Hochschule Mittelhessen haben gezeigt, dass Mikroalgen auch äußerst effizient Phosphor aus dem Ablaufwasser einer Kläranlage aufnehmen und so die Abwasserreinigung unterstützen. Was auch immer die Algen leisten und liefern: Selbst am Ende ihres Lebenszyklus besitzen sie noch einen Wert. Die restliche Biomasse lässt sich als Energieträger nutzen und in Biogasanlagen zu Methan vergären.

 

 12.4. Sprachbausteine

 Verborgener Ozean auf Saturnmond

 

 Schon seit einigen Jahren vermuten Forscher, dass es unter der dicken Kruste von Dione Wasser geben könnte. Auch auf anderen Himmelskörpern könnte es sich verstecken. Saturns Mond Dione enthält womöglich noch heute unter seiner Eiskruste einen globalen Ozean aus flüssigem Wasser. Zu diesem Schluss sind Forscher um Mikael Beuthe von der Königlichen Sternwarte von Belgien gekommen. Sie untersuchten die von der amerikanischen Raumsonde Cassini bei mehreren Vorbeiflügen zur Erde gefunkten Messungen des Gravitationsfeldes des Trabanten. Diese ließen sich am besten erklären, wenn man von einem mehrere zehn Kilometer tiefen Ozean tief unter der

 Oberfläche des etwa 1100 Kilometer großen Himmelskörpers ausgehe, erklären Beuthe und seine Kollegen in den „Geophysical Research Letters". Die Raumsonde Cassini, die seit Juli 2004 im Saturnsystem kreist, hat Dione zwischen den Jahren 2005 und 2015 insgesamt viermal passiert. Schon früher entdeckten Forscher in den gesammelten Beobachtungsdaten Anzeichen für einen verborgenen Ozean. Im Jahr 2013 etwa fand man heraus, dass eine 800 Kilometer lange Bergkette namens Janiculum Dorsa die Kruste des Mondes um bis zu einem halben Kilometer abgesenkt hatte. Die hauptsächlich aus Wassereis bestehende Kruste müsste bei der Entstehung des Gebirges also warm gewesen sein, so die Schlussfolgerung damals. Als Wärmequelle kam ein Ozean im Untergrund in Frage.

 

 

 Die jüngsten Ergebnisse von Beuthe und seinen Kollegen zeigen nun, dass dieses verborgene Meer offenbar bis heute vorhanden ist. Damit bietet es einen potenziellen Lebensraum für Mikrobakterien. Auch auf anderen Monden des Saturns, einigen Jupitermonde und dem Zwergplaneten Pluto vermutet man unter ihren Oberflächen verborgene Wasserreservoire. Ob es dort wirklich Leben gibt, können wohl erst zukünftige Raumsonden zeigen, die in der Lage sind, auf den betreffenden Himmelskörpern zu landen und durch Bohrungen zu dem flüssigen Wasser vorzudringen. Solche Missionen werden derzeit aber nicht ernsthaft geplant.

Gerade bei Dione würde ein solches Unterfangen schwierig werden, denn die Kruste des Mondes ist besonders dick. Auf der rund minus 190 Grad kalten Oberfläche selbst kann Wasser in flüssiger Form nicht existieren. Bessere Chancen bietet der Nachbarmond Enceladus. Dessen Eiskruste ist so dünn, dass an seinem Südpol Wasser aus mehreren Geysiren ins Weltall schießt.

 

 12.5. Hörverstehen, Teil 1

 

 

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Ob es die Aufgabe des Staats ist, überall günstigen Wohnraum für Studenten zu schaffen? Einer solchen Forderung kann ich nichts abgewinnen. Man sollte doch bedenken, dass die jungen Menschen, die jetzt ein Studium absolvieren, später mit hoher Wahrscheinlichkeit zu den Besserverdienenden gehören werden. Denn bei Akademikern liegt die Erwerbslosenquote auf einem relativ niedrigen Niveau, und man liest immer wieder über die ständig steigende Nachfrage nach Arbeitnehmern mit einer akademischen Ausbildung. Studentinnen und Studenten können also mit guten Berufsaussichten rechnen. Daher kann man durchaus verlangen, dass sie etwas in ihre eigene Zukunft investieren und zum Beispiel marktgerechte Mieten zahlen, auch wenn sie deswegen vielleicht einen Studienkredit aufnehmen müssen. Sie werden später sicher genug verdienen, um ihre Schulden problemlos zurückzahlen zu können.

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Ich kann es gut nachvollziehen, dass die Studentenwerke höhere staatliche Zuschüsse für günstiges Wohnen fordern. Denn hohe Mietkosten treffen am stärksten einkommensschwache Familien. Es ist eher eine Ausnahme, dass Studenten eine Eigentumswohnung besitzen, in der sie in ihrer Studienzeit wohnen können. Und nicht immer können sie damit rechnen, dass die Familie problemlos die Miete bezahlen kann - obwohl das für Studenten natürlich ein großer Vorteil ist. Denn sie brauchen dann nicht nebenher zu arbeiten, um sich das Wohnen zu finanzieren. Doch Kinder aus bildungsfernen Schichten sind meistens auf Nebenjobs angewiesen. Dabei haben sie es ohnehin schon schwer genug. Das hört man doch immer wieder, dass die soziale Herkunft über den Bildungserfolg mitentscheidet. Wenigstens sollten die finanziellen Hürden nicht schwer zu überwinden sein. Zu hohe Wohnkosten tragen zusätzlich dazu bei, Kinder aus einkommensschwachen Familien von der Aufnahme eines Studiums abzuhalten. Günstiger Wohnraum könnte dagegen eine Motivation sein.

 

 

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Sicher, für Studenten hat sich die Wohnraumsituation in den letzten Jahren verschärft, weil die Mieten und Lebenshaltungskosten stark gestiegen sind. Sie haben es mitunter wirklich schwer, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Deshalb fordern Studentenvertreter immer häufiger, dass der Staat neue Förderprogramme für Studentenwohnungen entwickelt und so bezahlbaren Wohnraum schafft. Allerdings bin ich der Meinung, dass es gar nicht immer eine teure Einzelwohnung sein muss, denn es gibt auch andere Lösungen. Die Universitäten bieten günstige Wohnheimzimmer an, schon ab 200 Euro im Monat. Die Plätze sind zwar sehr begehrt und man muss sich früh anmelden, wenn man einen ergattern möchte, aber immerhin besteht die Möglichkeit. Und wenn es mit dem Wohnheim nicht klappt, gibt es noch Wohngemeinschaften. Wenn sich Studenten zusammenschließen und gemeinsam eine Wohnung mieten, entlastet das ihr oft recht knappes Budget, da sie sich die Grundkosten teilen können. Dadurch wird das Wohnen schon um einiges günstiger.

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In Deutschland verzichten die staatlichen Universitäten darauf, Studiengebühren zu erheben. Die meisten deutschen Universitäten und Hochschulen werden nämlich vom Staat finanziert. Die Studenten müssen lediglich für den sogenannten Semesterbeitrag aufkommen. Dieser ist von Uni zu Uni verschieden und bewegt sich zwischen 150 und 250 Euro pro Semester. Maximal 250 Euro also, die ausreichen müssen, um die Verwaltungskosten abzudecken und Sportanlagen, Mensen und Wohnheime zu finanzieren. Dass damit nicht der komplette Universitätsbetrieb unterhalten werden kann, liegt ja wohl auf der Hand. Meistens kann man mit dem Studentenausweis in der näheren Umgebung der Universität auch noch gratis Bus und Bahn fahren. Bund und Länder stecken Jahr für Jahr Milliarden in die Ausbildung von Studenten. Da sollte man doch annehmen, dass diese wenigstens für ihre Miete selbst aufkommen können.

 

 

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Ich denke, dass es im Interesse einer Stadt liegt, wenn ihre Universitäten und Hochschulen Studenten und Dozenten anziehen. Denn eine gute Universität trägt viel zum Ansehen einer Stadt bei. Um sich als Universitätsstandort in ein gutes Licht zu setzen, sollten die Städte dazu beitragen, Hindernisse wie zum Beispiel hohe Mieten abzubauen. Außerdem sind Universitäten ein nicht zu vernachlässigender Wirtschaftsfaktor. Denn einerseits schaffen sie Stellen, andererseits geben auch die jungen Leute viel Geld während ihres Studiums aus und stärken so den lokalen Handel. Deshalb sollte es einer Stadt wichtig sein, dass es für Studenten erschwinglichen Wohnraum gibt. Ich denke, dass Städte selbst tätig werden und hier investieren sollten. Auf lange Sicht gesehen, kommen solche Investitionen der gesamten Stadt zugute. Hier sind die Akteure der lokalen Politik gefordert.

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Ein Freund von mir sucht gerade eine Bleibe in München: 13 Euro kalt pro Quadratmeter, also das sind schon stolze Preise! Auch in anderen Städten wie Frankfurt, Hamburg, Stuttgart oder Heidelberg sollen die Mieten für Studenten fast unbezahlbar sein: Dort liegen die Quadratmeterpreise überall bei mehr als zehn Euro. Na ja, ich denke mir, wenn man sich eine der teuersten Städte Deutschlands als Studienort aussucht, darf man sich eigentlich nicht wundern.

Schließlich ist schon lange bekannt, wie angespannt der Wohnungsmarkt dort ist. Andererseits kann ich auch verstehen, dass man die Wahl des Studienorts nicht nur von den Mieten abhängig machen möchte. Doch ganz vernachlässigen sollte man den Faktor Wohnraum meiner Ansicht nach nicht. Es gibt sehr gute Universitäten in Städten, die auch bezahlbare Wohnungen bieten.

 

 

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In dieser Hinsicht, wie übrigens auch in vielen anderen Fragen, würde ich mir etwas mehr Engagement von privater Seite wünschen. Schauen Sie, es gibt doch viele Akademiker, die finanziell sehr gut gestellt sind. Alles ehemalige Studentinnen und Studenten. Könnte man nicht erwarten, dass solche Menschen einen Beitrag dazu leisten, die Wohnungsnot der jungen Leute zu lindern? Sie erinnern sich doch sicher noch an ihre eigene Studienzeit. Wenn sie selbst eine Mietwohnung besitzen, könnten sie diese doch zu einem günstigen Preis an Studenten vermieten. Dann sind da noch die Unternehmen, die später von den gut ausgebildeten jungen Leuten profitieren werden. Für sie wäre die Förderung von Studenten meiner Meinung nach eine überlegenswerte Investition. Verbände, private Stiftungen, ach, da gäbe es noch so viel ...

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Der Gesellschaft muss die Bildung ihrer Bürgerinnen und Bürger etwas wert sein. Das heißt nicht unbedingt, dass die Politik gezielt mehr Geld für Wohnheime oder Mietzuschüsse in die Hand nehmen muss. Aber der Staat könnte zum Beispiel die Vergabe zinsloser Studiendarlehen erleichtern. Es ist gut, dass mithilfe der verschiedenen Formen der Ausbildungsförderung auch Kinder von Eltern mit geringem Einkommen studieren können. Doch das Angebot allein reicht nicht aus, sondern es muss auch so gestaltet sein, dass die finanzielle Unterstützung in einem vernünftigen Zeitraum und unter annehmbaren Bedingungen zurückgezahlt werden kann. Was nützt es, wenn zwar während des Studiums Hilfe geboten wird, die Absolventen aber dann ihre Schulden nicht ohne Unterstützung der Familie zurückzahlen können? Hier brauchen wir großzügige Regelungen im Sinne der Studenten.


 12.6. Hörverstehen, Teil 2

 

 

 Liebe Hörerinnen und Hörer, Tausende von Studentinnen und Studenten leiden unter Legasthenie, also einer Lese- und Rechtschreibstörung. In der Rechtsprechung zum Prüfungsrecht wurde Legasthenie als eine Behinderung bestätigt. Nach dem Grundsatz der Chancengleichheit steht den Betroffenen damit ein sogenannter Nachteilsausgleich zu. Über dieses Thema spreche ich heute mit Professor Tiemo Grimm. Tiemo Grimm ist Seniorprofessor am Institut für Humangenetik der Universität Würzburg. Bereits seit Jahrzehnten forscht er zum Thema „Legasthenie", von der er selbst sowie auch viele Familienmitglieder betroffen sind. Herr Grimm, Sie stammen aus einer Legasthenikerfamilie. Wann wurde die Behinderung bei Ihnen diagnostiziert?

 Als sie auch bei meinem ältesten Sohn diagnostiziert wurde, da war ich bereits 46 Jahre alt. Ich hatte natürlich schon zu Schulzeiten große Probleme mit Lesen und Schreiben gehabt, aber damals wusste niemand, was ich haben könnte - ich galt als einseitig begabt. Das war allerdings mein Glück, denn weil ich in den mathematischnaturwissenschaftlichen Fächern so gut war, wurde ich trotz meiner Lese- und Rechtschreibprobleme akzeptiert.

Wie haben Sie Lesen und Schreiben gelernt?

 

 

 Damals lernte man das Schreiben mit der Ganzwortmethode, das war für mich jedoch hoffnungslos. Also hat meine Mutter mir das zu Hause mit der Buchstabiermethode beigebracht dafür bin ich ihr bis heute sehr dankbar. Trotz harter Arbeit habe ich aber zwei Jahre in der Schule verloren. Zuerst bin ich beim ersten Versuch wegen einer Sechs im Diktat durch die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium gefallen, später, als ich die Aufnahme geschafft hatte, musste ich hauptsächlich wegen Englisch, Latein, Altgriechisch und Deutsch in der Mittelstufe eine Klasse wiederholen.

Wie hat Sie die Legasthenie auf dem Weg zum Abitur beeinträchtigt?

 Meine Rechtschreibung war grauenhaft und ich hatte große Probleme beim Lernen von Vokabeln. Ich wusste zwar immer, an welcher Stelle im Buch das Wort stand, aber nur selten, was es bedeutet. Den Abschluss habe ich mit einer einfachen Strategie geschafft: In den sprachlichen Fächern habe ich mich ständig für Referate gemeldet und dadurch meine schlechten schriftlichen Leistungen ausgeglichen. Am Ende hatte ich dann in allen mathematischnaturwissenschaftlichen Fächern Einser und in den Sprachen Vierer.

Im Studium dürften Sie auch Probleme bekommen haben, oder? Kaum, da ein Großteil des Medizinstudiums in den ersten Semestern rein mathematisch- naturwissenschaftlich aufgebaut war und wir zudem fast nur mündliche Prüfungen hatten. So habe ich in der kürzestmöglichen Zeit, und weitgehend ohne etwas schreiben zu müssen, Medizin studiert. Meine Doktorarbeit war komplett mathematisch ausgerichtet, Formeln zu schreiben macht mir überhaupt keine Schwierigkeiten. Und für den kleinen Rest hatte ich gute Gegenleser.

Können Sie heute ohne größere Probleme schreiben?

 

 Nein, Legasthenie verfliegt ja nicht. Ich habe eine große Schreibhemmung und vermeide es, handschriftlich längere Texte zu schreiben. Auf dem Computer ist es dank der Korrekturprogramme nicht ganz so schlimm. Dafür habe ich meiner Behinderung wegen schon früh gelernt, Vorträge frei zu halten, was mir in meinem Beruf als Hochschullehrer später sehr geholfen hat.

Eine universitäre Laufbahn bedeutet auch, Erkenntnisse zu publizieren. Wie haben Sie das gelöst?

Solche Publikationen entstehen ja im Team Da war es in der Formalgenetik immer meine Aufgabe, die mathematischen Grundlagen zu erarbeiten. Den schriftlichen Teil haben oft Kollegen übernommen.

 Wie haben Sie herausgefunden, dass Sie nicht der erste Legastheniker in Ihrer Familie sind?

Es war bekannt, dass viele meiner Vorfahren nicht gut schreiben konnten. Als Humangenetiker hat mich das natürlich interessiert, ich wollte wissen, ob die Legasthenie einen genetischen Ursprung hat. Also habe ich erhaltene Tagebücher und Briefe meiner Eltern, Großeltern und sogar einer Urgroßmutter aus unserem

 

 

 Familienarchiv herausgesucht. Dort war teilweise auf einer Seite dasselbe Wort dreimal unterschiedlich geschrieben, ein eindeutiges Legasthenikerproblem. In der Folge habe ich versucht herauszufinden, wie sich die Behinderung in meiner Familie vererbt hat. Zusätzlich habe ich frühzeitig Blutproben vieler Familienmitglieder genommen für den Fall, dass die Molekulargenetik einmal so weit sein wird, die Vererbung genauer zu entschlüsseln.

Drei Ihrer sechs Kinder sind Legastheniker. Wie ist deren Bildungskarriere verlaufen?

Der damals noch gültige Legasthenie-Erlass 

 in Bayern war für die Schulen nicht bindend und auch nur bis zur sechsten Klasse gültig. Für Betroffene, also auch für meine Kinder, war es so kaum möglich, irgendeinen Nachteilsausgleich zu bekommen. Die Lehrer hat das zu dieser Zeit nicht nur kaum interessiert sie haben die Schüler teils richtiggehend gequält. Ohne die Hilfe der Kinder- und Jugendpsychiatrie hätten meine Kinder das gewiss nicht seelisch gesund überstanden. Ein Arzt hat uns dann geraten, auf ein Internat mit speziellem Förderprogramm für Legastheniker zu wechseln.

Und da wurde dann alles besser?

 

 

 Dort wussten alle Lehrer und Schüler über die Behinderung Bescheid, Legasthenie war etwas ganz Normales. Dieses Umfeld hat den Kindern psychisch unwahrscheinlich gut geholfen, sie sind bis zum Abitur dort geblieben. Ein Problem war nur die Finanzierung, denn so üppig ist ein Professorengehalt nun mal auch nicht.

Aber sie müssen doch vom Sozial- oder Jugendamt finanzielle Unterstützung bekommen haben?

Die erste Anfrage dazu hat das Jugendamt abgelehnt mit der Begründung, ich wolle meine dummen Kinder doch nur auf

 einfachere Schulen schicken. Die wollten nicht akzeptieren, dass das eine Behinderung ist und die Kinder einen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe haben. Also habe ich meine Forschungstätigkeit auf die Legasthenie konzentriert und mithilfe eines Anwalts geklagt.

Und gewonnen.

Ja, dadurch war das Jugendamt gezwungen, die Finanzierung des Internatsbesuchs für ein Jahr zu übernehmen. Nach diesem Jahr habe ich einen neuen Antrag gestellt - und der wurde wieder abgelehnt. Die wollten das Urteil einfach nicht wahrhaben. Also bin ich

 

 

 wieder vor Gericht gezogen und habe wieder gewonnen. So ging das zehn Jahre lang, jedes Jahr aufs Neue. Eine unsägliche Verschwendung von Steuergeldern, denn bei jedem verlorenen Verfahren hat das Amt ja auch die Kosten für meinen Anwalt tragen müssen.

Während des Medizinstudiums Ihres ältesten Sohnes sind Sie erneut wegen seiner Legasthenie vor Gericht gezogen.

Wir haben damals eine Zeitverlängerung für meinen Sohn bei der schriftlichen Prüfung innerhalb seines Physikums erstritten- daraus wurde ein Grundsatzurteil für den

 Umgang mit Behinderung im Studium. Mein Sohn hatte damals einen Antrag auf Nachteilsausgleich bei der Universität gestellt und um eine Stunde Schreibverlängerung für die beiden je vierstündigen Multiple-Choice-Prüfungen gebeten. Er hatte sogar seinen Schwerbehindertenausweis vorgelegt, den er wegen der Legasthenie hat. Das Prüfungsamt hat trotzdem abgelehnt.

Mit welcher Begründung?

Ein Arzt müsse schnell lesen können und dürfe außerdem nicht behindert sein. Hanebüchen war das. In erster Instanz hat

 

 

 das Gericht trotzdem der Uni recht gegeben, in zweiter Instanz haben wir dann aber gewonnen. Ich konnte erstens nachweisen, dass schnelles Lesen nicht Prüfungsinhalt nach der medizinischen Zulassungsordnung ist. Und zweitens glaubhaft machen, dass es kaum einen medizinischen Notfall geben dürfte, bei dem es meinem Sohn zum Nachteil gereicht, dass er etwas langsamer liest. Er hat die Prüfung dann ohne Schwierigkeiten bestanden.

Herr Grimm, Sie sind nun 70 Jahre alt. Wie hat sich Ihre eigene Legasthenie in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt?

 Wenn Sie eine Verbesserung vermuten, muss ich Sie enttäuschen. Ich war und bin sehr froh über die digitale Technik, die mir als Legastheniker viele Peinlichkeiten erspart. Und sehr wichtige schriftliche Dinge liest entweder meine Frau oder ein Mitarbeiter im Institut gegen.

Hat sich die Akzeptanz gegenüber Legasthenikern in den vergangenen Jahrzehnten verbessert?

Absolut. Die weltweite Forschung und der Nachweis, dass Legasthenie genetische Ursachen hat, haben viel geholfen. Die Intelligenz ist bei Legasthenikern genauso normal verteilt wie im Rest der Bevölkerung. Zum Glück wissen mittlerweile die meisten Menschen: Kein Legastheniker ist per se dumm oder schuld an seinem Handicap, das ist einfach Schicksal und Genetik.

Vielen Dank, Herr Professor Grimm.

 

 12.7. Hörverstehen, Teil 3

 

 

 Also noch einmal herzlich willkommen zu unserem Tag der offenen Tür. In der letzten Vorstellung haben wir einiges über Chemie gehört. Chemie gehört zu den exakten Wissenschaften, also zu jenen Wissenschaften, die messbare, überprüfbare Ergebnisse liefern. Thema der folgenden Präsentation ist nun eine Fachrichtung, die gemeinhin als das genaue Gegenteil einer exakten Wissenschaft angesehen wird, nämlich die Philosophie. Über dieses Fach und über die Freuden und Leiden einer Philosophiestudentin erzählt nun Elsbeth. Bitte sehr.

 Hallo. Ja, wie gesagt, ich heiße Elsbeth und beginne im nächsten Semester mit dem Master-Studium in Philosophie. Um es gleich vorwegzunehmen: Leid habe ich in meinem Studium bisher wenig erfahren, höchstens in Form der Vorurteile, denen wir Studentinnen und Studenten der Philosophie manchmal begegnen. Aber davon später. Das erste Wort, das ich mit dem Begriff Philosophie" assoziiere, ist in der Tat,,Freude". Nicht die Freude an jedem einzelnen philosophischen Text, auch nicht die Freude an jeder Lehrveranstaltung, nein, das wäre gelogen. Aber wenn mich jemand fragt, warum ich Philosophie studiere, sage ich immer: aus Freude am Denken. Das ist für mich eine

 

 

 grundlegende Voraussetzung, um ein Philosophiestudium aufzunehmen. Diese Freude bezieht sich zuerst einmal auf das Denken anderer, nämlich der großen Denker vom Beginn der europäischen Philosophie im antiken Griechenland bis zur Gegenwart. Man muss sich also gerne mit philosophischen Texten beschäftigen. Die Herausforderung dabei sind die häufig sehr schwierigen Argumentationsstrukturen solcher Texte. Voraussetzung für eine solche Beschäftigung ist daher die Fähigkeit, abstrakt und logisch zu denken. Logisch, das ist ein gutes Stichwort. Zu den wichtigsten Instrumenten unseres Fachs gehört nämlich die Logik. Sie untersucht die innere

 Folgerichtigkeit von Argumenten, einmal ganz abgesehen vom Inhalt dieser Argumente. Die Logik gehört zu den Sieben Freien Künsten; im Mittelalter bildeten diese das Grundstudium an den Universitäten. Zu ihnen zählt man unter anderen auch die Rhetorik und die Grammatik. Der römische Philosoph Seneca meinte im ersten nachchristlichen Jahrhundert, dass die freien Künste so genannt würden, weil sie eines freien Menschen würdig seien.

Darin erkenne ich eine erste wichtige Kompetenz, die wir in unserem Studium erwerben können, nämlich die Fähigkeit zu freiem Denken. Indem wir lernen,

 

 

 Argumentationsstrukturen kritisch zu analysieren, lernen wir auch, Zusammenhänge zu erkennen und Widersprüche aufzuzeigen, und zwar frei von gewohnheitsmäßigen, ideologischen oder religiösen Denkmustern. Diese Fähigkeit ist für mich eine grundlegende Eigenschaft jedes Wissenschaftlers, egal welcher Fachrichtung. Und damit komme ich auch gleich zu einer häufig geäußerten Kritik: Die Philosophie sei keine Wissenschaft. Ganz im Gegenteil: Die Philosophie steht am Beginn jeder Wissenschaft, jeder rationalen Auseinandersetzung mit der Welt. Denn die Philosophen waren die ersten, die sich nicht mehr damit begnügten, in den Phänomenen

 der Welt die Taten von Göttern zu sehen, sondern versuchten, darin bestimmte Gesetze und Mechanismen zu erkennen. Sie fragten nach den Voraussetzungen und den Bedingungen der Welt und unserer eigenen Existenz.


Freilich, eine exakte Wissenschaft im Sinne der Naturwissenschaften ist Philosophie nicht, denn dazu fehlt uns ein wichtiges Element: das Experiment. Wir können unsere Theorien nicht durch Versuche beweisen oder widerlegen. Unsere Hypothesen stellen sich nicht, wie es der Astrophysiker - und Philosoph - Harald Lesch einmal so anschaulich formulierte, „der Guillotine des

 

 

 Experiments", an dem sie scheitern oder Bestand haben. Die Guillotine unserer Theorien ist die Logik. Und ohne logisches Denken kommt auch keine exakte Wissenschaft aus.

Wissenschaft an sich ist übrigens Gegenstand eines eigenen Teilbereichs der Philosophie, nämlich der Wissenschaftstheorie, auch theoretische Wissenschaftsphilosophie oder Wissenschaftslehre genannt. Dieses Teilgebiet beschäftigt sich mit den Voraussetzungen, Methoden und Zielen von Wissenschaft an sich. Sie stellt zum Beispiel Fragen wie:,,Welche Eigenschaften hat

 wissenschaftliche Erkenntnis?" oder „Durch welche Methoden gelangt man zu wissenschaftlicher Erkenntnis?" Hier blicken wir - zur Abwechslung einmal, möchte ich fast sagen - sozusagen von oben auf die exakten Wissenschaften herab.

Wie ihr sehen könnt, haben einzelne Disziplinen unseres Fachs zum Teil theoretischen Charakter. Hier setzt auch eine häufig formulierte Kritik, oder vielmehr ein Vorurteil, an: Wir seien weltfremde Spinner, die sich im Elfenbeinturm an Gedankengebäuden erfreuten, die für die Welt da draußen nicht sonderlich bedeutsam seien. Doch wir beschäftigen uns durchaus

 

 

 mit gesellschaftlich relevanten Fragen, zum Beispiel mit Medizin- oder Umweltethik. Im Übrigen ist kritisches Hinterfragen von Vorstellungen, Ideen oder Gedankengebäuden heute wohl wichtiger und relevanter denn je.

Wie dem auch sei, genug der Theorie. Was

erwartet euch also konkret in einem

Philosophiestudium? Im Allgemeinen stehen

am Beginn, nach einer allgemeinen

Einführung in die Philosophie, Logik und

Argumentationstheorie. Darauf folgt die

Theoretische Philosophie. Das ist, einfach

ausgedrückt, der Bereich der Philosophie, bei

dem es um das Verstehen der Existenz geht.

 In der Praktischen Philosophie geht es dann um Ethik und um die Beschäftigung mit eigenen Teilbereichen der Philosophie. Dazu gehören zum Beispiel die schon erwähnte Wissenschaftstheorie, die Sozial- und Rechtsphilosophie, die Sprachphilosophie oder die Kulturphilosophie. Im Einzelnen beschäftigt ihr euch mit den Fragestellungen bedeutender klassischer und zeitgenössischer Philosophen. Sie werden in den Seminaren erörtert und reflektiert. Ein bedeutender Teil eures Studiums besteht dabei in der Vorbereitung auf diese Veranstaltungen, denn es wird erwartet, dass man die betreffenden Texte vorher liest und bereits selbst analysiert. Dazu kommt

 

 

 natürlich die Fachliteratur.

Apropos Fachliteratur: Englisch ist die vorherrschende Sprache der Wissenschaft, und ihr werdet euch in den Lehrveranstaltungen häufig mit englischen Texten beschäftigen müssen. Ohne gutes Englisch, zumindest passiv, werdet ihr es schwer haben. Aber das ist eigentlich erst die zweite sprachliche Voraussetzung. Die erste lautet: sichere Beherrschung von Deutsch in Wort und Schrift. Das ist eine unverzichtbare Voraussetzung, nicht nur um die Texte zu verstehen, sondern auch, um eigene Gedanken präzise formulieren zu können. Manche Unis verlangen auch noch Latein,

 hier bei uns ist das nicht der Fall.


Das ist ja alles schön und gut, werdet ihr sagen, aber was fange ich nach dem Philosophiestudium an? Die Frage berührt ein anderes Vorurteil, dem wir häufig begegnen: Philosophie sei eine brotlose Kunst. Das stimmt so nicht. Es ist richtig, dass ein Philosophiestudium nicht auf einen konkreten Beruf vorbereitet, so wie bei Medizin oder Jura. Aber die Kompetenzen, die wir uns während unseres Studiums erarbeiten - die Fähigkeit zu klarer Analyse, zur Verschriftlichung komplexer Gedanken, zu logischer Argumentation - all das verschafft uns viele Vorteile am

 

 

 Arbeitsmarkt. Zu den Branchen, in denen wir äußerst willkommen sind, gehören das Medien- und Verlagswesen, das Beratungs- und das Bibliothekswesen. Wegen unserer analytischen Fähigkeiten sind wir sogar bei Banken gefragt. Neben diesen fachfremden beruflichen Tätigkeiten besteht natürlich auch die Möglichkeit, im Bildungsbereich, also in der Hochschulforschung oder in der Lehre, zu arbeiten.

Nach diesem Studium ist die berufliche Karriere offen - und das entspricht ja auch irgendwie einer anderen Kompetenz, die wir uns während des Studiums aneignen und die für mich besonders wichtig ist, nämlich

 Offenheit gegenüber ungelösten Fragen.

Damit hoffe ich, dass ich bei einigen von euch die Lust aufs Philosophieren wecken konnte. Mir jedenfalls ist die Freude daran noch lange nicht vergangen! Wenn ihr noch Fragen habt oder Informationsmaterial möchtet, erwarte ich euch gerne drüben am Infostand.

Vielen Dank!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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